Gedanken zum Radio im Jahr 2021 (Foto: blende12 @ Pixabay)
Gedanken zum Radio im Jahr 2021 (Foto: blende12 @ Pixabay)

Macht endlich wieder richtiges Radio

Als ich in den 80er Jahren private Hörfunkprogramme wie Radio Brenner, Radio C und Radio M1 kennengelernt hatte, begeisterte mich nicht nur die Musik (die gab es bei Bayern 3, hr3 oder SWF3 ja auch). Vor allem die Programmgestaltung war für mich der große Unterschied. Kleine, engagierte Teams, die immer bemüht waren, das bestmögliche Programm für die Hörer zu bieten, dazu kreative Jingles und eine Höreransprache, die man so vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht kannte. Ich war begeistert, brannte für Privatradio, fieberte dem Sendestart in Deutschland entgegen.

Und in der Tat klangen auch Programme wie München 92,4 oder Radio 4 in Rheinland-Pfalz ähnlich wie die Pioniere, die aus Südtirol, Ostbelgien oder dem Elsass nach Deutschland gesendet hatten. Nur das Frequenzsplitting – also die Aufteilung der Sendezeit auf mehrere Programmveranstalter – war etwas ungewöhnlich. Und doch war das genau das, worauf ich als Teenager lange gewartet hatte.

Die ersten Privatfunk-Jahre waren gut

Auch Antenne Bayern und Radio FFH machten in den ersten Jahren ihrer Existenz einen guten Job. Mit 104.6 RTL Berlin startete 1991 das aus meiner Sicht damals beste deutschsprachige Radioprogramm überhaupt. Die 90er Jahre markierten dann aber auch schon einen Wendepunkt. Die Musikauswahl wurde langweiliger, die Rotationen wurden kleiner und auch das 24/7-Liveprogramm, das es in den 80er Jahren zum Teil sogar bei kleinen Lokalradios gab, wurde seltener.

Was wir heute von vielen Programmen zu hören bekommen, ist mit Verlaub eine Schande und aus meiner Sicht ein Grund dafür, dass das Medium Radio im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung verloren hat. In den 90er Jahren war es etwas besonderes, dass Sky Radio rund um die Uhr Nonstop-Musik gesendet hat. Heute hat man dafür Streamingdienste, die zum Teil auch kostenlos und werbefinanziert genutzt werden können.

Das Radio schafft sich selbst ab

Und dennoch gibt es immer mehr Radiostationen, die zum Teil sogar tagsüber, zumindest aber abends und am Wochenende die Musik nur für Nachrichten und Werbung unterbrechen. Bei anderen Programmen hört man anstelle einer lebendigen Live-Moderation lieblos zusammengeschusterte Voicetracks, bei denen auch der letzte Normalhörer merkt, dass das keine „echte“ Moderation ist.

Vor 30 Jahren machte ich am Wochenende die Nacht zum Tag, um bei der „Party ohne Pause“ von RPR dabei zu sein. Heute begeistern mich selbst tagsüber nur noch wenige Moderatoren so, dass ich ihre Sendungen auf keinen Fall verpassen möchte. Werner Reinke (Hessischer Rundfunk) ist so einer, Marc Angerstein (NDR, Radio Brocken) auch, dann wären da noch Lutz Stolberg (R.SA) und Dirk Sipp (LandesWelle Thüringen) zu nennen. Das sind noch Radiomacher vom „alten Schlag“, die es verstehen, ihre Hörer zu begeistern.

Emotionslose Voicetracks statt lebendiger Moderation

Schlimm finde ich, wenn ein Programm wie Nostalgie – immerhin fast bundesweit über DAB+ zu empfangen – völlig emotionslos moderiert wird. Man merkt, dass die Moderatorinnen mit der Musik nichts anfangen können. Es kommt einfach keine Begeisterung rüber, die auf den Hörer überspringen könnte. Einen Vorwurf kann man den jungen Damen kaum machen. Zum einen würden sie – rein vom Alter her – besser in die Programme des Nostalgie-Veranstalters Energy passen. Zum anderen ist es ja heutzutage regelrecht verpönt, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Persönlichkeiten wie die oben genannten oder auch Thomas Koschwitz, Thomas Gottschalk, Jochen Pützenbacher, Bernd Kühl… die Liste ließe sich beliebig erweitern – diese Persönlichkeiten haben mich und meine Generation zu Radiofans gemacht. Sie sorgten dafür, dass Radio nicht nur ein kaum beachtetes Nebenbei-Medium war, sondern dass man auch bewusst eingeschaltet und zugehört hat.

Das gleiche gilt für die Musikauswahl. Natürlich ist es in Ordnung, dass Kollege Computer mithilft. Aber wenn dieser Kollege in Verbindung mit einer angeblich schlauen Software zum Maß aller Dinge wird, wenn die auf diesem Weg generierte Rotation unter keinen Umständen geändert werden darf, dann läuft etwas ganz gewaltig falsch – und das ist heutzutage leider bei fast allen Radiostationen der Fall.

Immerhin: Es gibt auch Lichtblicke

Positive Ausnahmen sind Programme wie Schwarzwaldradio, bundesweit über DAB+ zu empfangen, Radio 2Day in München oder auch extra radio in Hof. Hier wird noch Radio mit der Hand gemacht und speziell bei Schwarzwaldradio gibt es hin und wieder auch Aktionen bzw. Marathon-Sendungen, die für Abwechslung sorgen und dazu motivieren, dranzubleiben, zuzuhören, statt weiter- oder abzuschalten.

Als Lichtblick in der deutschsprachigen Radiolandschaft würde ich auch Hitradio Ö3 bezeichnen – nicht wegen der Standard-Musikrotation im Alltag. Diese ist ähnlich langweilig wie bei den meisten anderen Radiostationen im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Doch immerhin ist Ö3 stets professionell gemacht, mit guter Verpackung und einem sympathischen Team ist man nicht ohne Grund Marktführer in Österreich.

Es gibt aber auch Aktionen, mit denen der Sender immer wieder aus dem regulären Programm ausbricht. Demnächst steht mit dem Ö3 Weihnachtswunder wieder eine solche Aktion an, mit der 13-stündigen WunschWunsch-Show zum Corona-Lockdown liegt eine Ö3-Aktion aber auch gerade erst hinter uns. Dazu kommen Moderatoren wie Robert Kratky, Andi Knoll, Thomas Kamenar oder Benny Hörtnagl, die ich durchaus als „Radiostars“ bezeichnen würde.

Nehmt Euch die richtigen Vorbilder

Wir brauchen wieder mehr Schwarzwaldradios, Radio 2Days und Ö3s: Programme mit Moderatoren, die mehr können als Linercards abzulesen, die ihre Hörer begeistern können. Wir brauchen Programme, die musikalisch überraschen und wo sich nicht innerhalb eines Tages manche Titel – vielleicht sogar mehrfach – wiederholen.

Leute, macht endlich wieder Radio statt Nonstop-Musik, bei der die Moderation halt als notwendiges Übel notdürftig mit eingebaut wird. Zeigt Euren Hörern, was Radio kann, was Radio ausmacht und warum man zuhause weiterhören sollte statt nach der Heimfahrt mit dem Auto abzuschalten. Dann – und nur dann – hat das Radio eine Zukunft. Lieblos zusammengestellte Festplattendudler mit Mini-Rotation und ohne Live-Moderation braucht niemand.